3.2 Wellenfunktionen und Wellenpakete

Materielle Objekte wie Elektronen, Protonen, Neutronen, Atome und Moleküle zeigen Interferenzeffekte: Unter bestimmten Umständen zeigen diese Objekte, die üblich als Teilchen angesprochen werden, Welleneigenschaften. Entsprechend gilt für Wellen wie z.B. elektromagnetische Strahlung, dass sie unter bestimmten Umständen Teilcheneigenschaften zeigen, die mit dem Konzept der Photonen beschrieben werden.

Nun sind Welle und Teilchen sich gegenseitig ausschließende Begriffe. Objekte wie Elektronen oder Photonen sind nicht gleichzeitig Teilchen und Welle. Sie sind etwas anderes, das mit klassisch-anschaulichen Begriffen nicht beschrieben werden kann. Sie werden daher als Quantenobjekte bezeichnet.

Die mathematische Beschreibung von Quantenobjekten erfolgt mit Wellenfunktionen . Ihre Amplitude ist eine Wahrscheinlichkeitsamplitude. Das Betragsquadrat gibt die Wahrscheinlichkeitsdichte dafür an, ein Quantenobjekt aus einer einheitlich präparierten Gesamtheit am jeweiligen Ort zu registrieren (Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte):

3.2.1 Klassische Wellengleichung

Die Differentialgleichung einer eindimensionalen Welle

hat harmonische Wellen alsLösungen:

Übliche Abkürzungen sind:

: Wellenzahl

: Kreisfrequenz

: Phase

Die Phasengeschwindigkeit ist

Anstelle der reellen harmonischen Wellenfunktion y (x,t) wird oft die komplexwertige Wellenfunktion

verwendet. Dies stellt in der komplexen Zahlenebene einen Zeiger dar, der mit rotiert:

3.2.2 Wellenpakete

Für ein Teilchen mit Impuls p und Energie W ergeben sich Wellenzahl k und Kreisfrequenz unter Verwendung der de Broglie-Beziehungen:

Damit kann eine ebene Welle gebildet werden:

Diese ebene Welle ist räumlich und zeitlich unendlich ausgedehnt, und ihr Betragsquadrat ergibt:

Das bedeutet: Beschreibt man ein Teilchen mit der Wellenfunktion einer ebenen Welle, dann ist das Teilchen zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort mit gleicher Wahrscheinlichkeit zu registrieren. Das Teilchen ist also nicht lokalisiert.

Zur Beschreibung eines lokalisierten Teilchens reicht eine einzelne harmonische Welle also nicht aus. Dazu müssen mehrere Wellen überlagert werden.

Überlagerung zweier harmonischer Wellen

Ein Elektron, dass sich mit bewegt, hat den Impuls

und die Energie

Daraus ergeben sich Wellenzahl und Kreisfrequenz für eine harmonische Welle:

Für eine zweite harmonische Welle wird gewählt:

Dieser Impuls führt zu

Aus den beiden Wellen wird die Resultierende gebildet:

Es genügt, den Realteil zu betrachten:

Unter Berücksichtigung von

wird daraus:

Zur Abkürzung werden die Mittelwerte

und die Differenzen

gebildet. Die Resultierende nimmt dann die Form an

Dies beschreibt eine harmonische Welle mit Wellenzahl und Kreisfrequenz und einer modulierten Amplitude .

Beobachtung 1:

Die resultierende Welle breitet sich mit der Phasengeschwindigkeit

aus. Die Einhüllende dagegen breitet sich mit der sogenannten Gruppengeschwindigkeit

aus. Es ist festzustellen:

Die Gruppengeschwindigkeit stimmt näherungsweise mit der Teilchengeschwindigkeit überein, die Phasengeschwindigkeit ist nur etwa halb so groß. In der Grafik sind zur Verdeutlichung die Ausbreitung eines Maximums der Einhüllenden (rot) und die Ausbreitung einer Phase der Welle (blau) markiert.

Beobachtung 2:

Die Entfernung von 2 Nullstellen der Einhüllenden wird als Maß für die räumliche Ausdehnung des Wellenpakets aufgefasst. Für zwei aufeinanderfolgende Nullstellen gilt:

Zusammengefasst:

Mit wird daraus

Für einen festen Ort ergibt sich dasselbe Bild wie oben, jedoch für die zeitliche Entwicklung, d.h. es ist x durch t zu ersetzen. Für die zeitliche Ausdehnung des Wellenpaktes ergibt sich

Mit der de Broglie-Beziehung wird daraus

Kontinuierliche Wellenpakete

Auch das aus zwei harmonischen Wellen zusammengesetzte Wellenpaket ist zur Beschreibung eines Teilchens noch nicht ausreichend: Außerhalb der Bereiche und geht die Aufenthaltswahrscheinlichkeit nicht gegen Null.

Ein allgemeineres Wellenpaket erhält man aus der Überlagerung mehrerer harmonischer Wellen:

Aber auch mit diesem Ansatz ergibt sich keine Wellenfunktion, die außerhalb eines bestimmten Bereiches überall verschwindet. Dies wird erst erreicht mit einem kontinuierlichen Wellenpaket:

Dabei ist A(k) die Verteilungsfunktion der Wellenzahlen k. Bei einem Gauß-Paket ist diese Verteilungsfunktion gegeben durch

Die Größe ist die sogenannte Standardverteilung. Sie ist mit der Breite der Verteilung verknüpft.

Die sich für Gauß-Pakete ergebenden Wellenfunktionen sind ebenfalls Gauß-Pakete. In den folgenden Abbildungen sind verschieden breite Verteilungen A(k) und die dazu gehörigen Anfangsverteilungen dargestellt.

Es ist zu erkennen: Zu einer schmalen Verteilung A(k) der Wellenzahlen ergibt sich eine breite Anfangsverteilung . Ist die Verteilung der Wellenzahlen dagegen breit, ist die Anfangsverteilung der Wellenfunktion schmal.

3.2.3 Phasengeschwindigkeit und Gruppengeschwindigkeit

Für eine kontinuierliche Verteilung harmonischer Wellen in einem Wellenpaket nimmt die Gruppengeschwindigkeit die Form

an. Für ein freies Teilchen gilt

Mit den de Broglie-Beziehungen und folgt daraus

Damit lässt sich die Gruppengeschwindigkeit berechnen:

Die Gruppengeschwindigkeit des Wellenpaketes stimmt also mit der Teilchengeschwindigkeit überein. Das war auch zu erwarten, denn vG ist nichts anderes als die Geschwindigkeit, mit der sich die Einhüllende des Pakets ausbreitet und damit auch die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des Teilchens. Die Phasengeschwindigkeit vP der einzelnen Wellen stimmt dagegen nicht mit der Teilchengeschwindigkeit überein:

Dies hat zur Folge, dass ein Wellenpaket mit der Zeit immer breiter wird: es zerfließt. Dieses Zerfließen ist in den folgenden Abbildungen für ein Elektron mit der Geschwindigkeit dargestellt.

3.2.4 Wellenpakete und Unbestimmtheitsrelation

Im Folgenden soll die Bedeutung der Standardabweichungen und untersucht werden. Dazu werden Hilfsmittel aus der Stochastik benötigt:

Eine Messreihe aus n Einzelmessungen xi wird durch folgende statistische Größen beschrieben:

Mittelwert

Varianz

Standardabweichung

(1) Nimmt man an einer Reihe identischer, d.h. durch dieselbe Wellenfunktion eine Ortsmessung vor, dann ist die Verteilung der in der Messung bestimmten Orte durch die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte gegeben. Für die Messung der Orte eines Teilchens besteht also eine Unbestimmtheit, die mit der räumlichen Ausdehnung des Wellenpaketes verknüpft ist. Die räumliche Ausdehnung des Wellenpakets steht ihrerseits mit der Verteilung A(k) der Wellenzahlen im Wellenpaket im Zusammenhang.

(2) Ist die räumliche Ausdehnung des Wellenpakets sehr gering, liegt also ein räumlich schmales Wellenpaket vor, so ergibt sich eine breite Verteilung der Wellenzahlen. Die zum Aufbau des Wellenpaketes benötigten Wellenzahlen streuen sehr weit. Da die Wellenzahl k über mit dem Impuls zusammenhängt, ergibt sich auch eine entsprechend hohe Impulsunbestimmtheit. Umgekehrt: Liegt ein räumlich breites Wellenpaket vor, also eine hohe Unbestimmtheit in der Messung des Ortes, so ist die Verteilung A(k) schmal und die Unbestimmtheit in der Messung des Impulses ist gering.

(3) Nach diesen Überlegungen ist es sinnvoll, die Orts- und Impulsunbestimmtheit genauer zu definieren, nämlich als die Standardabweichungen der Verteilungen bei der Messung des Ortes und des Impulses:

Heisenberg zeigte, dass für Gauß-Pakete das Produkt den Wert 1/2 annimmt, und für jede andere Verteilung größer als 1/2 ist:

Da ist, ist auch , und es folgt

Damit ergibt sich die exakte Formulierung der Heisenberg'schen Unbestimmtheitsrelation:

3.2.5 Unbestimmtheitsrelation für Energie und Zeit

Für einen festen Zeitpunkt t0 hängt die räumliche Verteilung eines Wellenpaketes mit der Verteilung A(k) der Wellenzahlen zusammen. Betrachtet man dagegen einen festen Ort x0, dann ergibt sich ein gleicher Zusammenhang zwischen der zeitlichen Verteilung des Wellenpaketes mit der Verteilung der Kreisfrequenzen . Die Kreisfrequenz hängt mit der Energie zusammen: . Ein zeitlich schmales Wellenpaket bedingt daher eine breite Verteilung der Energie, ein zeitlich breites Wellenpaket bedingt eine schmale Verteilung der Energie. In Analogie zur Unbestimmtheitsrelation von Ort und Impuls wird deshalb eine Relation für die Zeit- und Energieumbestimmtheit formuliert:

Diese Relation ist wie folgt zu interpretieren: Wenn die für eine Energiemessung eines Teilchens zur Verfügung stehende Zeit ist, dann ist diese mit der als Standardabweichung definierten Unbestimmtheit der Energie verknüpft.

Auch für Zerfälle angeregter und instabiler Zustände besitzt die Zeit-Energie-Unbestimmtheitsrelation eine große Bedeutung. In diesem Fall entspricht der mittleren Lebensdauer des Zustands und der Unbestimmtheit der bei dem Zerfall frei werdenden Energie. Dies bedingt auch die natürliche Linienbreite von Spektrallinien angeregter Atome:





Übungen

1. Ein Proton bewege sich mit .

a) Berechnen Sie Impuls p1, Energie W1, Wellenzahl k1 und Kreisfrequenz w1.

b) Um ein Wellenpaket aus zwei harmonischen Wellen zu bilden, wird eine zweite Welle mit dem Impuls p2 = 1,1 p1 verwendet. Berechen Sie die zugehörigen Werte W2, k2, w2.

c) Ermitteln Sie die Gruppen- und Phasengeschwindigkeit des Wellenpakets.

2. Begründen Sie: Zu einer schmalen Verteilung A(k) der Wellenzahlen ergibt sich eine breite Anfangsverteilung . Ist die Verteilung der Wellenzahlen dagegen breit, ist die Anfangsverteilung der Wellenfunktion schmal.