9.3 Logistisches Wachstum

1. Wenn eine Anzahl von Kaninchen auf eine Insel gebracht wird, auf der sie sich ungestört ausbreiten können, dann vermehren sie sich anfangs sehr schnell. Durch die Zunahme der Anzahl sinkt aber das Nahrungsangebot, da die Kaninchen schneller die Vegetation abfressen als diese nachwachsen kann. Das hat zur Folge, dass die Vermehrungsrate der Kaninchen absinkt. Die Insel bietet nur einer bestimmten Anzahl S (Sättigungsgrenze) von Kaninchen Lebensraum. Beispiel:

Anfangs verläuft die Vermehrung der Kaninchen näherungsweise exponentiell. Bei Annäherung an die Sättigungsgrenze kann die Entwicklung des Bestandes näherungsweise als begrenztes Wachstum beschrieben werden.

Bei exponentiellem Wachstum einer Größe, die durch eine differenzierbare Funktion f(t) beschrieben wird, gilt: Die momentane Änderungsrate (Wachstumsgeschwindigkeit) f '(t) ist proportional zum momentanen Bestand:

Das begrenzte Wachstum (mit Sättigungsgrenze S) ist dadurch gekennzeichnet, dass die momentane Änderungsrate (Wachstumsgeschwindigkeit) f '(t) proportional zum aktuellen Sättigungsdefizit ist:

Für ein Wachstum, wie es im Beispiel der Kaninchenpopulation auftritt, liegt daher folgender Ansatz nahe:

Ein solches Wachstum wird allgemein als logistisches Wachstum bezeichnet. Die Lösungen dieser Differentialgleichung heißen logistische Funktionen. Eine Form einer logistischen Funktion ist:

Dabei ist der Anfangswert mit und die Sättigungsgrenze.


Herleitung der Lösung:

Die Grundidee zur Lösung der Differentialgleichung beruht auf folgendem Zusammenhang:

Eine Stammfunktion von ist .

Um diesen Zusammenhang ausnutzen zu können, wird die Differentialgleichung zunächst umgeschrieben:

Der Bruch kann zerlegt werden:

Damit der Zähler für alle zulässigen Werte von t den Wert 1 ergibt, muss gelten:

Also:

Wird diese Zerlegung auf die umgeschriebene Form der Differentialgleichung angewendet, so folgt:

Integration führt nun auf

Unter Ausnutzen von lässt sich die linke Seite umschreiben:

Entlogarithmieren:

Auflösen nach f(t):

Erweitern mit ergibt schließlich die oben genannte Form der logistischen Funktion:


2. Bestimmen einer logistischen Funktion

In Anwendungen liegen häufig Daten wie in obigem einführenden Beispiel der Kaninchenvermehrung vor. Wenn der Zusammenhang durch eine logistische Funktion modelliert werden kann, dann sind die Parameter a, S und k zu bestimmen. Das Vorgehen soll am Beispiel der Kaninchenvermehrung erläutert werden. Hier ist .

Falls die Sättigungsgrenze S nicht aus der Problemstellung hervorgeht, wird zunächst ein Schätzwert für S gewählt - im Beispiel bietet sich S = 2000 an.

Dann wird der Kehrwert des Funktionsterms gebildet:

Dieser Kehrwert wird weiter umgeformt:

Logarithmieren führt auf:

Das entspricht einer Geradengleichung

mit:

Die Parameter b und m können bestimmt werden, indem man die Daten in einem t-y-Diagramm darstellt und eine Ausgleichsgerade anpasst:

Die Gleichung der Ausgleichsgeraden lautet im vorliegenden Fall

Mit dem (geschätzten) Wert für S können dann die Wachstumskonstante k und der Anfangswert a bestimmt werden:

Die gesuchte logistische Funktion lautet somit

Das folgende Diagramm zeigt, dass durch diese Funktion die gegebenen Datenpunkte gut erfasst werden.


3. Beispiel 1: Höhenwachstum eines Strauches

Das Höhenwachstum eines Strauches wird in guter Näherung durch eine logistische Funktion beschrieben: . Dabei ist t die Zeit in Jahren und h(t) die Höhe in Dezimetern.

Die Parameter a, S und k ergeben sich wie folgt:

Graph von h:

Der Verlauf des Graphen lässt vermuten, dass die Änderungsrate von h, also die Wachstumsgeschwindigkeit, einen maximalen Wert besitzt. Der zugehörige Zeitpunkt tW ist dann eine Wendestelle von h. Die Ermittlung dieser Wendestelle kann in gewohnter Weise erfolgen. Unter Verwendung von Quotienten- und Kettenregel ergibt sich:

h'' besitzt eine Nullstelle, wenn der Klammerterm im Zähler Null wird:

Das ist der Fall für . h'' wechselt an dieser Stelle das Vorzeichen von + nach -. Somit ist tW eine LR-Wendestelle und damit eine Maximalstelle der Wachstumsgeschwindigkeit h'. Der Funktionswert von h beträgt an dieser Stelle


4. Beispiel 2: Energiebedarf

In einem Planungsmodell zur Energieversorgung eines Landes wird die momentane Änderungsrate des Energiebedarfes mit folgender logistischer Funktion nachgebildet:

Dabei ist t die Zeit in Jahren ab Anfang des Planungsjahres und P(t) wird in berechnet.

Anfangswert und Sättigungsgrenze:

Graph:

Wendestelle:

Mit Quotienten- und Kettenregel ergeben sich die Ableitungen:

Die zweite Ableitung hat eine Nullstelle mit Vorzeichenwechsel bei t = tW = 1. Der Funktionswert an dieser Wendestelle ist .

Gesamtenergiebedarf in einem bestimmten Zeitraum:

Der Gesamtenergiebedarf ergibt sich durch Integration über die momentane Änderungsrate:

Für den Zeitraum ergibt sich E = 9,387. Der Energiebedarf beträgt somit .


Übungen

1. Eine Bakterienkultur wächst logistisch mit k = 0,02 und bedeckt eine Fläche A(t). Dabei ist t die Zeit ab Beobachtungsbeginn gemessen in Stunden. Nach 10 Stunden beträgt die bedeckte Fläche 8 cm2. Die Sättigungsgrenze ist S = 20 cm2.

a) Stellen Sie eine geeignete logistische Funktion zur Beschreibung des Flächenwachstums auf.

b) Bestimmen Sie den Zeitpunkt t1, zu dem die bedeckte Fläche 0,1 cm2 betrug, und den Zeitpunkt t2, zu dem die Fläche 90% des Sättigungswerts erreicht.

c) Zeichnen Sie die Graphen von A(t) und der momentanen Änderungsrate (Wachstumsgeschwindigkeit).

2. Der Durchmesser einer Fichte (gemessen in 1,3 m Höhe) wird näherungsweise durch die Funktion beschrieben (d in m, t in Jahren)

a) Bestimmen Sie den Anfangswert a = d(0) und die Sättigungsgrenze .

b) Zeigen Sie, dass d(t) der Differentialgleichung genügt, also eine logistische Funktion ist.

c) Bestimmen Sie den Wendepunkt von d.

d) Zeichnen Sie den Graphen von d im Bereich .

e) Ermitteln Sie das Alter einer Fichte mit 0,4 m Durchmesser.



Lösungen

1. a)

b) , also 2,22 Stunden vor Beobachtungsbeginn;

c)

2. a)

b) (nachrechnen; k = 0,05)

c)

d)

e)