9.2 Begrenztes Wachstum

Bei der Einführung eines neuen Marktartikels nimmt der Anteil der Personen, die diesen Artikel besitzen, solange zu, bis eine Sättigung des Marktes erreicht ist. Die folgende Skizze soll diesen Verlauf veranschaulichen.

Darin ist

Da für das Wachstum hier eine Grenze gegeben ist, heißt ein solcher Wachstumsvorgang begrenztes Wachstum. Um einen solchen Vorgang mathematisch zu modellieren, wird angenommen, dass das Sättigungsdefizit S - N(t) exponentiell abnimmt:

.

Dann lautet die Wachstumsfunktion des begrenzten Wachstums

.

Der Anfangswert N0 = N(0) kann von Null verschieden sein:

In diesem Fall folgt aus dem Ansatz  die Wachstumsfunktion

Beispiel 1: Marktsättigung

Eine Firma will in einer Stadt ein neues Küchengerät, das noch in keinem Haushalt vorhanden ist, einführen. Es wird zunächst in einem Stadtteil mit 2000 Haushalten ein Testverkauf begonnen. Nach einer Woche sind 363 Geräte verkauft.

a) Der Verkauf der Geräte soll als begrenztes Wachstum modelliert werden. Da zu Beginn des Verkaufs in den Haushalten noch keine Geräte vorhanden sind, ist N0 = 0. Der Sättigungswert ist gleich der Anzahl der Haushalte: S = 2000. Für die Anzahl der abgesetzten Geräte wird die Funktion  angenommen. Dabei ist die t die Zeit in Wochen nach Verkaufsbeginn. Die Wachstumskonstante ergibt sich aus der Anzahl der nach t = 1 Woche verkauften Geräte:

b) Nach welcher Zeit tH haben nach diesem Modell die Hälfte aller Haushalte das Gerät gekauft?

Es dauert also etwa 3,5 Wochen, bis die Hälfte der Haushalte das Gerät erworben hat.

c) Wann sind voraussichtlich 1900 Geräte verkauft?

Entsprechend zu b) ist anzusetzen:

.

Auflösen nach t (wie in b)) ergibt:- also etwa 15 Wochen.

d) Die momentane Wachstumsgeschwindigkeit N'(t) ist proportional zum aktuellen Sättigungsdefizit:


e) Für das Integral der Wachstumsfunktion ergibt sich:

Beispiel 2: radioaktive Zerfallskette

Eine radioaktive Substanz A zerfalle mit der Zerfallskonstanten kA in eine Substanz B. Die Menge von B wächst dann exponentiell an. Dieses Wachstum ist aber begrenzt: Hat sich die Menge von A durch Zerfall in die Substanz B umgewandelt, kommt es zu keinem weiteren Zuwachs von B.

Bei radioaktiven Zerfällen ist es oft so, dass die aus dem Zerfall von A entstandene Substanz B selbst auch radioaktiv ist, und erst aus dem Zerfall dieser Substanz stabile Endprodukte entstehen. Eine solche Zerfallskette kann mit den beiden folgenden Gleichungen modeliert werden:

Abnahme von A durch Zerfall:

Zunahme von B durch Umwandlung von A in B und gleichzeitiger Zerfall von B:

Diese Differentialgleichung für NB(t) hat die Lösung

a) Eine radioaktive Substanz A hat zur Zeit t = 0 den Anfangswert von N0A = 10 Mengeneinheiten. Sie zerfällt mit der Halbwertszeit tHA = 1 Stunde in eine Substanz B. Die Substanz B ist ebenfalls radioaktiv und zerfällt mit der Halbwertszeit tHB = 5 Stunden. Wie lautet die Wachstumsfunktion für NB(t)?

Aus den Halbwertszeiten ergeben sich die Zerfallskonstanten:

Damit folgt:

b) Zu welcher Zeit tm ist die Menge der Substanz maximal? Wie groß ist dieser Maximalwert?

Benötigt werden die erste und die zweite Ableitung von NB(t):

notwendige Bedingung für lokale Extrema: .

Dies ist der Fall, wenn

Überprüfung der hinreichenden Bedingung für lokale Extrema: 

Für ist

Also ist

lokale Maximalstelle. Der Maximalwert der Menge der Substanz B beträgt daher

.

c) Die Menge der Substanz B nimmt von 0 beginnend zunächst zu, erreicht bei tm ihren Maximalwert und nimmt dann wieder ab. Da sich NB(t) asymptotisch dem Wert 0 nähert ist zu erwarten, dass der Graph von NB einen Wendepunkt besitzt. Dieser soll bestimmt werden.

Notwendige Bedingung für Wendestellen: 

Dies ist der Fall für

Hinreichende Bedingung für Wendestellen: 

Die dritte Ableitung lautet:

Für ist

Also ist

Wendestelle mit Steigungsminimum (RL-Wendestelle). Der Wert von NB beträgt hier

.

Der gesuchte Wendepunkt ist also W(5,805 | 5,367).

d) Die folgenden Abbildungen zeigen die Graphen von NB(t) und NB'(t).


e) Welche Bedeutung hat?

Das Integral von NB ist

Unter Berücksichtigung von

ergibt sich daraus:

Dies ist die Anfangsmenge der Substanz A.


Übungen

1. Ein Kondensator der Kapazität  wird über einen Widerstand  an eine Spannungsquelle mit der Spannung  angeschlossen. Die Spannung am Kondensator U (t) wächst dann gemäß der folgenden Beziehung:

.

Dabei wird die Spannung in Volt und die Zeit in Sekunden gemessen.

a) Nach welcher Zeit tH ist die Spannung am Kondensator auf die Hälfte ihres Endwertes angestiegen?

b) Bestimmen Sie die Gleichung der Tangente an den Graphen von U zur Zeit t = tH.

2.Gegeben ist die Funktion g durch 

a) Bestimmen Sie die Null- und Extremstellen von g.

b) Wie verhält sich g für?
Zeichnen Sie den Graphen von g in ein Koordinatensystem ein.

c) Bestimmen Sie den Flächeninhalt der Fläche, die von dem Graphen von g , der x-Achse und der
y-Achse begrenzt wird.

d) Beim radioaktiven Zerfall einer Substanz S1 beschreibt h1(t) die Masse der noch nicht zerfallenen Substanz zum Zeitpunkt t.(h1(t)in mgund t in Stunden nach Beobachtungsbeginn).
Dabei gilt: .
Wie groß ist die Halbwertszeit dieses Zerfalles, d.h. die Zeit, nach der nur noch die Hälfte der
ursprünglichen Substanz vorhanden ist?
Welche Masse ist nach 6 Stunden bereits zerfallen?

e) Eine zweite radioaktive Substanz S2 entsteht erst als Zerfallsprodukt einer anderen Substanz. Für
die Masse h2(t)der noch nicht zerfallenen Substanz S2 gilt:

.

Bestimmen Sie den Bestand für t = 0 .
Zu welchem Zeitpunkt wird die größte Masse gemessen und wie groß ist sie?
In welchem Zusammenhang stehen die Funktionen h2 und g ?

Welche Bedeutung hat das Integral ?

(Beachten Sie Ihren in Aufgabenteil c) berechneten Flächeninhalt).

3. Die Konzentration von Drogen im Blutplasma lässt sich in Abhängigkeit von der Zeit t (gemessen in Stunden) modellhaft darstellen durch

.

Dabei sind a, b und c positive Konstanten, die vom Wirkstoff, seiner Menge und der Verabreichungsform abhängen. Injiziert man einer Person von 70 kg Körpergewicht eine Dosis von 140 Mikrogramm LSD, so gibt die folgende Funktion die Konzentration in Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht an:

.

a) Zu welcher Zeit tm ist die Konzentration f maximal?

b) Zeigen Sie, dass der Graph von f einen Wendepunkt besitzt und berechnen Sie diesen.

c) Zeichnen Sie die Graphen von f und f '. Erläutern Sie den Verlauf des Graphen von f.

4. Durch den Treibhauseffekt führt eine Erhöhung des CO2-Anteils der Atmosphäre zu einer Erhöhung der Lufttemperatur. Modellrechnungen ergeben für die Temperaturerhöhung T (in Grad) in Abhängigkeit von der CO2-Konzentration x (in ppm) die Funktion

.

Bestimmen Sie für die angegebene Definitionsmenge DT die Wertemenge und das Monotonieverhalten von T.

Zeichnen Sie den Graphen von T im angegebenen Intervall.

Was ergibt sich für ?