Zum Zeitpunkt t sei ein Anfangsbestand von N (t) Bakterien vorhanden. Zu einem späteren Zeitpunkt sind dann durch Vermehrung Bakterien vorhanden. Wenn äußere Einflüsse auf das Wachstum der Bakterien ausgeschlossen sind, wird in Versuchen beobachtet:
Dies lässt sich auch so ausdrücken, dass das Wachstum der Bakterien der Bakterien proportional zum Bestand N(t) und zur verstrichenen Zeit ist. Für die Zunahme der Bakterien gilt also:
Dieser Differenzenquotient beschreibt die mittlere Wachstumsgeschwindigkeit der Bakterienkultur im Zeitintervall . Der Faktor k wird als Wachstumskonstante bezeichnet.
2. Der Graph von N (t) ist eine „Treppenkurve“. Für kleine Zeitintervalle und eine große Anzahl von Bakterien ist die Stufenhöhe aber sehr klein. Daher kann der tatsächliche Sachverhalt idealisiert werden, indem die Funktion N (t) als stetig und differenzierbar vorausgesetzt wird. Dann existiert für der Grenzwert des Differenzenquotienten:
Die Ableitung N'(t) heißt die momentane Wachstumsgeschwindigkeit der Bakterienkultur zum Zeitpunkt t.
Das Gesetz, das hier für die Vermehrung von Bakterien gefunden wurde, lässt sich so formulieren:
Die momentane Wachstumsgeschwindigkeit N'(t) ist proportional der zum Zeitpunkt t vorhandenen Anzahl N(t) von Bakterien.
3. Dieses Gesetz gilt für viele Wachstumsprozesse. Es wird wie folgt verallgemeinert:
Wird eine zeitlich veränderliche Stoffmenge durch eine differenzierbare Funktion f (t) beschrieben, so heißt das Wachstum exponentielles Wachstum (bzw. exponentieller Zerfall), wenn die momentane Wachstumsgeschwindigkeit (bzw. Zerfallsgeschwindigkeit) f '(t) proportional zu der zum Zeitpunkt t vorhandenen Stoffmenge f (t) ist:
Die Gleichung heißt auch Diffentialgleichung des exponentiellen Wachstums (bzw. Zerfalls). Um sie zu lösen muss eine Funktion f gefunden werden, deren Ableitung proportional zu der Funktion selbst ist. Die e-Funktion besitzt diese Eigenschaft.
Für t = 0 ist . Die Differentialgleichung des exponentiellen Wachstums wird also durch die Funktion gelöst.
4. Beispiel 1: Wachstum eines Waldbestands
Der Bestand an fester Holzmasse N(t) wird in Festmetern fm und die Zeit t wird in Jahren gemessen. Das Wachstum verlaufe nach folgender Funktion:
.
a) Nach welcher Zeit tD hat sich der Bestand verdoppelt?
Der Bestand ist also nach etwa 23 Jahren auf die doppelte Größe angewachsen. Dies gilt natürlich nur, wenn keine äußeren Einflüsse vorliegen wie z.B Dezimierung des Bestands durch Abholzen.
b) Graph für t = 0 ... 100:
c) Ein anderer Wald habe zur Zeit t = 0 einen Bestand von N0 = 80 000 fm; seine Wachstumskonstante sei . Wann ist der Holzbestand in beiden Wäldern gleich groß?
Nach etwa 44,63 Jahren weisen beide Wälder den gleichen Holzbestand auf.
d) Das Integral einer Wachstumsfunktion führt auf folgenden Zusammenhang:
.
Es ist also
.
Dies ist der in der Zeit von 0 bis t erreichte Zuwachs .
5. Vergleicht man in Beispiel 1 den Bestand N1(t) zu einer Zeit t mit dem Bestand N1(t + 1) nach einem weiteren Jahr, so ergibt sich immer das Verhältnis
.
Dieses Verhältnis gibt die prozentuale Vergrößerung des Bestandes in einem Jahr an. Es wird als Wachstumsfaktor a bezeichnet. Damit kann die Wachstumsfunktion in folgender Form geschrieben werden:
Allgemein:
In Fortsetzung des Beispiels 1 wird ein dritter Wald betrachtet, dessen Bestand sich jährlich um 4% vergrößert. Der Wachstumsfaktor ist
,
die Wachstumsfunktion lautet
.
Die Wachstumskonstante ergibt sich zu
,
und die Wachstumsfunktion kann in der Form
geschrieben werden.
6. Beispiel 2: Radioaktiver Zerfall
Die Masse m radioaktiver Stoffe nimmt von einem Anfangswert m(0) = m0 exponentiell ab: . Für das Radium-Isotop ist , wenn die Zeit t in Minuten gemessen wird. Wenn anfänglich m0 = 2 g Radium vorhanden sind, lautet die Zerfallsfunktion also
.
a) Als Halbwertszeit tH bezeichnet man die Zeit, nach der nur noch die Hälfte der anfänglichen Masse vorhanden ist - oder anders ausgedrückt: nach der die Hälfte der Anfangsmasse zerfallen ist.
Nach etwa 41,2 Minuten ist also die Hälfte der Radium-Masse zerfallen.
b) Das folgende Diagramm zeigt die Zerfallskurve für die ersten 180 Minuten des Zerfalls.
c) Die momentane Zerfallsgeschwindigkeit ist
.
Zur Zeit t = 0 ist die Zerfallsgeschwindigkeit am größten:
.
d) Die Gleichung der Tangente an den Graphen von m bei t = 0 lautet:
.
Sie schneidet die t-Achse an der Stelle
t = tS:
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Verallgemeinerung der Überlegungen: Es sei
eine Wachstumsfunktion (k > 0) oder eine Zerfallsfunktion (k < 0). Die Gleichung der Tangente an den Graphen von f für t = 0 ergibt sich dann wie folgt:
Ihre Schnittstelle tS mit der x-Achse ist
,
also:
.
e) Das Integral der Zerfallsfunktion führt auf folgenden Zusammenhang:
.
Es ist also
.
Dies ist die in der Zeit von 0 bis t zerfallene Masse .
7. Beispiel 3: exponentielle Abnahme
Auch in klaren Gewässern nimmt die Beleuchtungsstärke B durch das Tageslicht mit zunehmender Tiefe t ab. Bei einem Gewässer sei die Beleuchtungsstärke an der Oberfläche B(0) = B0 = 4000 Lux. Nach einem Meter, also bei t = 1, beträgt die Beleuchtungsstärke nur noch 80% des Wertes an der Oberfläche. Der Verlauf der Beleuchtungsstärke in Abhängigkeit von der Tiefe soll als exponentielle Abnahme modelliert werden.
a) Zunächst ist die Abnahmekonstante zu bestimmen.
Die Beleuchtungsstärke im Wasser wird also durch die Funktion
beschrieben.
b) In welcher Tiefe ist die Beleuchtungsstärke nur noch halb so groß wie an der Oberfläche?
In etwa 3,11 m Tiefe hat sich die Beleuchtungsstärke halbiert.
Probe:.
c) In welcher Tiefe hat die Beleuchtungsstärke gegenüber der Wasseroberfläche um 90% abgenommen?
In dieser Tiefe liegen also nur noch 10% der Beleuchtungsstärke an der Oberfläche vor:
Probe:.
8. Beispiel 4: Bevölkerungswachstum
China und Indien hatten 1988 zusammen etwa Einwohner. Im Jahr darauf war die Bevölkerung angewachsen auf . Das Bevölkerungswachstum soll als exponentielles Wachstum modelliert werden.
a) Als Beginn der Beobachtung t = 0 wird das Jahr 1988 gewählt; dann ist .
Wird die Zeit in Jahren gemessen, dann ergibt sich die Wachstumskonstante aus der Bevölkerungszahl im Jahre 1989:
Die Wachstumsfunktion lautet also
.
b) Wann erreicht in diesem Modell die Bevölkerungszahl die 5-Milliarden-Grenze?
Nach etwa 34,2 Jahren ist die 5-Milliarden-Grenze erreicht.
c) Welche Voraussage machte dieses Modell auf der Basis der Daten von 1988 und 1989 für die Bevölkerungzahl im Jahre 2000?
Da das Jahr 1988 als t = 0 gesetzt wurde, entspricht das Jahr 2000 dem Wert t = 12. Dafür ist
.
d) Tatsächlich betrug die Bevölkerungszahl im Jahre 2000 aber nur . Welche Gründe kann es für die Abweichung des Modells von der realen Entwicklung geben?
Übungen
1. Zeigen Sie allgemein:
a) Für einen Wachstumsvorgang mit ist
die Verdoppelungszeit tD gegeben durch.
b) Für einen Zerfallsprozess mit ist die Halbwertszeit tH gegeben durch .
c) Die Tangente an den Graphen von für t = 0 schneidet die t-Achse bei .
2. Das Plutonium-Isotop zerfällt mit der Halbwertszeit tH = 13,0 Jahre.
a) Stellen Sie die Zerfallsfunktion auf.
b) Wieviel Prozent einer anfänglichen Masse m0 zerfallen im ersten Jahr?
c) Wieviel Masse ist nach 5 Jahren zerfallen, wenn anfangs 3 mg vorhanden waren?
d) Nach wieviel Jahren sind von einer anfänglichen Masse m0 80% zerfallen?
3. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung
der Weltbevölkerung seit 1950:
Jahr | Bevölkerung
in Millionen |
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Untersuchen Sie, ob das Wachstum als exponentielles Wachstum modelliert werden kann.
4. In einem Gebiet vermehrt sich ein Heuschreckenschwarm exponentiell, und zwar wöchentlich um 50%. Der Anfangsbestand sei 10 000 Tiere.
a) Geben Sie die Wachstumsfunktion an.
b) Welcher Zuwachs ist in 6 Wochen zu erwarten?
Um wie viel Prozent hat sich der Bestand dabei
vergrößert?
c) Nach welcher Zeit tD hat sich der Bestand verdoppelt?
5. Zaire hatte 1998 eine Einwohnerzahl von 41 Millionen. Für die folgenden Jahre wurde ein Wachstum von jährlich 3,4% erwartet.
a) Bestimmen Sie die zugehörige Wachstumsfunktion .
b) Welche Einwohnerzahl ergibt sich in diesem Modell für das Jahr 2005 bzw. 2020?
c) Berechnen Sie die Einwohnerzahl vor 2, 5, 10 bzw. 20 Jahren.
6. Der Luftdruck p beträgt in Meereshöhe (Normalnull, NN) etwa 1000 hPa (Hekto-Pascal). Mit zunehmender Höhe h nimmt der Luftdruck exponentiell ab. Bei gleich bleibender Temperatur sinkt der Luftdruck innerhalb von Aufstieg um 12%.
a) Bestimmen Sie die zugehörige Wachstumsfunktion (barometrische Höhenformel).
b) Wie groß ist der Luftdruck an folgenden Orten: